Neue Architektur für neue Lernformen

Das System Schule ist in einem grundlegenden Wandel. Der Frontalunterricht weicht immer mehr zeitgemäßen Lernformen, bei denen Schüler*innen das Lernen selbst organisieren – analog und digital. Für diese Individualisierung werden neue Raumkonzepte gebraucht. Die Architekten des Büros JUP Architektur, seit Jahrzehnten erfahren im Schulbau, entwickelten für den Neubau des Oberstufenzentrums am Gymnasium Winsen entsprechende Frei- und Selbstlernbereiche. Das Gebäude wird 2021 eingeweiht.

Die Rückkehr zum neunstufigen Gymnasium im Jahr 2016 gab den Impuls für den Neubau an der Bürgerweide in Winsen. Neun Klassenstufen brauchen mehr Platz als acht, und der zusätzliche Raumbedarf für insgesamt 380 Schüler*innen sollte nicht mehr durch mobile Container gedeckt werden.

Das Ziel: die zeitgemäße Schule

Wie aber sieht eine zeitgemäße Schule aus? Eine sogenannte „Klassenraum-Flur-Schule“, immer noch Standard hierzulande, konnte es nicht sein, weil sie ganz auf den Frontalunterricht abstellt. Der ist heute aber nur noch ein Teil des Lernprogramms. Ergänzend werden stattdessen Freiflächen für Still- und Kleingruppenarbeit gebraucht, Plätze, an denen Schüler*innen mit PC oder Tablet selbstorganisiert lernen können. Um all diese Anforderungen in eine konsistente Planung einzubringen, erarbeiteten Lehrer*innen des Winsener Gymnasiums ein pädagogisches Begleitkonzept für die Neubaumaßnahme. Das Konzept war Teil der Wettbewerbsausschreibung des Landkreises Harburg, den JUP Architektur mit dem 1. Preis für sich entschied.

Komponente 1: das Selbstlernzentrum

Die Visualisierung zeigt einen langgestreckten Kubus mit dunklem Verblendmauerwerk und großen Glasflächen. Charakteristisch ein vorgelagerter eingeschossiger Bau, ebenfalls großzügig verglast: das Selbstlernzentrum. Der erste zentrale Punkt des pädagogischen Konzepts. Angrenzend an die Oberstufenbibliothek entstehen hier Lern- und Präsentationsmöglichkeiten, Plätze zum Lernen und Arbeiten mit und ohne PC. Hier können sich Schüler:innen austauschen oder sich zurückziehen und eine Pause machen.

Komponente 2: der Lern-Cluster

Die zweite Innovation des Entwurfs von JUP Architektur erschließt sich beim Blick auf den Grundriss des Erdgeschosses: ein sogenannter Lern-Cluster. Das ist eine Fläche von etwa 200 Quadratmetern, die dem selbstorganisierten Lernen gewidmet ist. Im Unterschied zum Klassen- oder Kursraum, der Platz für etwa 25 Personen bietet, findet auf der Cluster-Fläche schwerpunktmäßig kein klassischer Frontalunterricht statt. Hier organisieren die Schüler:innen ihr Lernen selbst: alleine oder im Team, für Recherchen und die Erstellung von Präsentationen, für jahrgangs- oder kursübergreifende Projekte mit der Unterstützung von Pädagog:innen. In den Obergeschossen ermöglicht das Raumkonzept des Oberstufenzentrums zudem die Einbeziehung der Flurflächen. Um die Flexibilität des Baus zu gewährleisten, können zukünftig auch Räume im 1. Obergeschuss zum Lern-Cluster umgebaut werden.

Ein Prototyp im Landkreis Harburg

Voraussetzung für die Umsetzung dieser Innovationen sind die neuen Brandschutzvorgaben Schulbau des Landkreises Harburg. Sie ermöglicht seit letztem Jahr die zeitgemäßen Raumprogramme und damit, dass den pädagogischen Anforderungen des zeitgemäßen Lernens entsprochen wird. Der Neubau des Winsener Oberstufenzentrums ist von daher ein Prototyp im Landkreis: der erste Schulbau, der gemäß der neuen Verordnung gebaut wird.

Innenausstattung und Möblierung sind Teil des Konzepts

Um eine Fläche von 200 Quadratmetern, wie sie der Lern-Cluster bereithält, wirklich gut nutzen zu können, braucht es zudem ein Konzept für Innenausstattung und Möblierung, erläutert Stefan Weinert, leitender Planer bei JUP Architektur. „Für den Boden haben wir einen textilen Belag ausgewählt, der den Schall entscheidend dämpft. Dazu ist der Raum mit Akustikdecken sowie zusätzlichen Absorbern für den Schallschutz ausgerüstet. Um die Fläche zu strukturieren, sind Bereiche mithilfe von Materialien, Farben voneinander unterschieden. Auch die Möblierung schafft Zonen, die sich aber jederzeit ändern und den jeweiligen Bedürfnissen anpassen lassen.“

Das Selbstlernzentrum soll Lust aufs Lernen machen

Gerade entwickeln Lehrer*innen des Gymnasiums gemeinsam mit dem Architekturbüro JUP das Einrichtungskonzept für das Selbstlernzentrum. Der Planer: „Wir wollen ein hochwertiges Ambiente schaffen, als Angebot der Identifikation. Hier soll ein Raum entstehen, der nicht nur den Schüler*innen der Oberstufe gefällt, sondern auch in denen der unteren Klassen den Wunsch wachruft: ‚Da möchte ich auch später lernen dürfen.‘“ Architektur als Lernanreiz.

„Eine inspirierende Herausforderung für JUP Architektur“

Das Oberstufenzentrum des Gymnasiums Winsen ist eine weitere Referenz für die Architekten von JUP in einer langen Liste von Schulbauten. Allein in den vergangenen 15 Jahren zeichneten sie verantwortlich für die Haupt- und Realschule Hanstedt, das Schulzentrum Buchholz, die Jahrgangshäuser der Gesamtschule Winsen sowie Erweiterungen zweier Schulen in Bleckede, der Berufsbildenden Schule sowie der Grund- und Oberschule Am Ilmer Barg in Winsen.

Die Zusammenarbeit mit der Lehrerschaft am Gymnasium Winsen empfand Stefan Weinert deswegen als besonders bereichernd: „Mit diesen neuen pädagogischen Konzepten umzugehen, einem zeitgemäßen Verständnis von Lernen und Pädagogik den architektonischen Rahmen zu geben, empfinden wir als wichtige Inspiration und Herausforderung. Die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen der Schule ist sehr konstruktiv. Die regelmäßigen engagierten Treffen, die jetzt für eine Entwicklung des Einrichtungskonzepts des Selbstlernzentrums fortgesetzt werden, sind eine für uns eine zusätzliche Motivation.“